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Geißler & Gäste: Heilige Wut (2002)

Premiere in Leipzig, LOFFT, 25. April 2002

Töne, Bilder und Texte in allen erdenklichen Formen und Formaten sind in den aktuellen Arbeiten von Knut Geißler gleichberechtigt übereinander gestapelt und nebeneinander gelegt. War das performative „Play Off“ (2000) noch ein rein formales Experiment mit gesampelten Live- und Video-Bildern, die man unterschiedlich gut (oder schlecht) sehen und mit mehreren ausgelegten roten Fäden verschiedenartig interpretieren konnte, thematisierte die Choreographie „In Concert“ (2001) – unterlegt mit einer Art erzählendem Soundtrack und visualisiert durch Internet und Live-Chat – eine Geschichte von nicht gelebtem Leben, von Isolation und Sprachlosigkeit.
Man kann „Heilige Wut“ gern als Abschluss einer „Trilogie des Sampling“ betrachten. Dabei geht es in Heilige Wut im Unterschied zu den beiden anderen Arbeiten weniger darum im Zeitmaß einer radikalen Beschleunigung mitzudenken und zu beobachten, sondern von Menschen, Geräten und Instrumenten erzeugten Situationen zuzuhören und beizuwohnen.
Trotz aller Umwege, trotz allem Um-die-Ecke-Denkens und nach allen Wegbewegungen der letzten Arbeiten hat dieser Abend mehr mit Theater zu tun, als man bei diesem Team erwarten durfte.

Bei „Play Off“ hatten sich die Darsteller mehr oder weniger versteckt. Bei „In Concert“ lagen alle am Boden. Diesmal geht es um die Arroganz, mutig zu sein. Im Kleinen: Wenn der Bassist zur Gitarre greift, kann das nur schiefgehen. (Obwohl der Darsteller natürlich beide Instrumente bedienen kann.) Und wenn er beginnt zu sprechen, wird es noch schlimmer. Größer: Mohammed Atta lenkt eine Passagierflugmaschine in ein Hochhaus. Meine dreijährige Tochter würde sagen: „Das darf der doch gar nicht!“
Also: Atta ist Böse. Aber Arschlöcher sind wir natürlich allemal.
Darüber laut nachzudenken, lohnt sich ein Abend Theater.
aus den Materialien zur Aufführung

Das Dominierende ist das Falsche, das Herrschende, das Unwahre, das Erfolgreiche, der Dreck. Und das Ganze (…) geführt als Wahrheit. Was also, fragte daraufhin das Ganze, soll jetzt dein Herzblatt sein? Das Erfolgreiche, Herrschende, Dominierende, sagte daraufhin das Wahre, zu zerstören, zu studieren, zu stürzen und zu zersetzen. Selbstzerstörung also bitte. Und es war Liebe auf den ersten Blick!
Rainald Goetz im ZDF-Nachtstudio, 5. September 2001

Uns wird es genügen zu erklären, dass auf dem kulturellen wie auch auf dem streng politischen Gebiet die Voraussetzungen für die Revolution nicht nur reif sind, sondern schon begonnen haben zu verfaulen.
Guy Debord und Gil J. Wolman, 1956 im Namen der Lettristischen Internationale

Das letzte berühmte Bild von Menschen, die unter dem eingeblendeten Datum ihres Todes hindurchhuschten, zeigte zwei, die hinausgingen und die nicht wussten, dass sie gleich sterben würden, Diana und Dodi am Hinterausgang des Pariser Ritz. Die Männer von Portland indessen gehen hinein, und sie wissen, was kommen wird. Sie zwingen uns, unsere eigene Unsicherheit mit ihrer Sicherheit ins Verhältnis zu setzen: Welch ungeheure Gewissheit müssen sie gehabt haben, das Richtige zu tun? (…) Echtzeit ist das Maß der globalen Kommunikation, also die Domäne der Wohlhabenden. Lokalzeit ist das Maß der Unterprivilegierten, die von den Datenströmen der Global City ausgeschlossen sind. Die Menschen der Lokalzeit, so Virilio, lebten in einer „Vorstadt planetaren Ausmaßes“. Indem die Terroristen des 11. September die Hauptstadt der Echtzeit angriffen, rasten sie, Virilios Logik folgend, aus der Peripherie in das Zentrum. Sie mordeten sich in die höchste Gegenwart, in die CNN-Zeit, hinein. Jetzt ahnen wir, wie sich Globalisierung anfühlen könnte. (…) Dahin ist die Vision, Globalisierung könne nach der Maxime „Alles Verbinden“ funktionieren. Das Motto steht allerdings noch im Raum, und derjenige, der sich filmen ließ, als er ans Werk des Verbindens ging, war Atta. Atta verband, indem er zerstörte.
Peter Kümmel unter der Überschrift „Attas Weltsekunde“ in der taz

Theaterstücke sind oft ein Generalplan: Die meisten suggerieren eine Erkennbarkeit und Beherrschbarkeit der Welt. Und genau das glaubt der Neoliberalismus ja auch – alles ist erkennbar und alles ist beherrschbar. Erstmal wird beherrscht, und danach erkannt. Ich sage, so, wie es scheint, dass es kommen musste, muss es nicht kommen.
Ich möchte, dass Menschen einfach wieder reden. Nicht Tarantino-cool und witzig – dass sie einfach wieder merkwürdig schwer sind in sich, dass sie sich zum Beispiel nicht bewegen, aber dass sie wieder auch Denkmaschinen sind, dass sie anfangen, auf sehr besondere Weise etwas über die Welt zu sagen.
Frank Castorf im Interview mit „Theater der Zeit“, Ausgabe September 2001

In einer Videoprojektion während des Songs sieht man den Untergang der Welt.
Wenn die Welt weg ist.

Knut: Tagebuch. Geschrieben in den USA. 2001.
Jürgen: Trage deine beste Kleidung, und folge damit dem Beispiel deiner Vorfahren, die vor dem Kampf gute Kleidung trugen.
Knut: Binde deine Schuhe sehr eng zu und trage Socken, so dass die Schuhe eng an deinen Füßen ansitzen.
Bolle: Verlasse die Wohnung nicht, bevor du gewaschen und sauber bist. Rasiere das gesamte überflüssige Haar von deinem Körper, parfümiere dich.
Die Darsteller verbeugen sich endlos.
Entwurf der Schlussszene

Presse
Theater ist das leider nicht.
Mark Daniel in der Leipziger Volkszeitung

Performer Bodo Goldbeck, Jürgen Salzmann, Knut Geißler

Computer- und Videorealisation Thomas Achtner
Licht Hans Thiele
Musik Bodo Goldbeck
Video Jürgen Salzmann

Buch, Ausstattung, Inszenierung Knut Geißler

Gefördert von Kulturamt der Stadt Leipzig und im Rahmen einer Hauptproduktion durch die Spielstätte LOFFT

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Kontakt

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Künstlerischer Leiter: Knut Geißler

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