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Off Europa: Kunststücke

Die Kunst der Kreation

  Im Herbst 2021 nutzte ich die Gelegenheit, eine im Jahr zuvor bei „Off Europa: Identität Polska“ gezeigte Aufführung noch einmal zu sehen. Ich erlebte das Stück zum dritten Mal; es war ganz sicher – wenn überhaupt – nur wenig verändert. Bei „Off Europa“, in Leipzig, beim zweiten Sehen, hatte ich mir Gedanken gemacht wie die Aufführung auf das Publikum wirken würde, und ob sie gut in das Programm eingebettet wäre, betrachtetes sie also unter bestimmten Gesichtspunkten. Beim dritten Mal nun wirkte der Abend wie eine Premiere – oder genauer gesagt, wie eben erst erschaffen. Ich sah deutlicher als beim ersten und zweiten Mal wie der Performer Bewegungen ausprobierte, wie er an Intensitäten arbeitete, das gesamte Konstrukt seiner Arbeit befragte, ja anzweifelte. Empfand sehr stark, wie er weite Teile des Publikums in staunend-atemloser Spannung hielt – um am Ende schier unendliches Glück auszustrahlen, beinahe als ob er erstmals einen hohen Berg bestiegen hätte.

  Wenn man über experimentelles Theater nachdenkt, und damit automatisch über den Vorgang des Theatermachens, über Risiko und potentielle Interaktion, über die Transparenz und Durchlässigkeit kreativer Prozesse, ist die beschriebene Arbeit, und wohl auch das beschriebene Erlebnis, ein großer Glücksmoment. Und gleichzeitig eine Erklärung wonach „Off Europa“ sucht, was diesem Festival wichtig ist, und was man von ihm erwarten darf. 

  Leider erlauben die aktuellen Reisebeschrän-kungen noch immer keine neuen, ausgiebigen Recherchen zu einem ausgewählten Land. Und so entstanden die hier versammelten „Kunststücke“ – wie schon die „Meisterstücke“ unserer 30. Ausgabe im Jahr 2021 – als ein Ergebnis langjähriger Sichtungen. Manch eine Arbeit leidenschaftlich ausufernd, andere zielgenau konzipiert und von großer Klarheit. Mit einem hohen Maß an Künstlichkeit über sich selbst hinausweisend. Handwerklich beeindruckend, erzählend von den Prozessen von Suche und Entscheidung, von Schöpferkraft und Individualität. Eine Feier der Verschiedenartigkeit und Kraft zeitgenössischer Darstellender Kunst.

In Dresden gilt es für „Off Europa“, Neuland zu beschreiten. Da unser langjähriger Partner, das Societaetstheater wegen Umbauarbeiten geschlossen sein wird, finden unsere Veranstaltungen in diesem Jahr im Zentralwerk statt, einem Ort, der einem Vorhaben wie „Off Europa“ räumlich viele Möglichkeiten bieten kann. Das Societaetstheater wird diesen Abstecher logistisch und technisch unterstützen, wofür wir uns auf diesem Weg herzlich bedanken.

Knut Geißler
Künstlerischer Leiter