Das Festival »Off Europa« holt im 25. Jahrgang Finnland nach Leipzig und Dresden. Festivalleiter Knut Geißler erklärt im Interview mit dem Leipziger Stadtmagazin Kreuzer warum.
Was macht Finnland zum Sehnsuchtsort?
Knut Geißler: Für mich tauchen ständig neue Sehnsuchtsorte auf. Sehnsucht entsteht über Neugier. Ein Land, nicht sehr häufig im Fokus der Medien, dessen Theater- und Tanzkünstler in Mitteleuropa wenig präsent sind, ist es »Off Europa« wert, erforscht und präsentiert zu werden. Und dann sind sie da, die Gäste, die Künstler, und schärfen mit ihren Horizonten und Ausdrucksweisen ein zuvor noch vages Bild.
Schwerpunktmäßig habt Ihr euch bisher vor allem auf Südosteuropa konzentriert, wie kommt es, dass ihr euch jetzt Finnland widmet?
Knut Geißler: Für »Off Europa« waren immer Ränder von besonderem Interesse. Die Ränder einer üblichen Wahrnehmung, die des Kontinents, natürlich die Schnittstellen und Bruchkanten in der darstellenden Kunst. Das Festival ist eine Momentaufnahme, wunderbar ist, dass sich nie etwas wiederholt, alles beginnt mit jeder Hinwendung zu einem neuen Land von vorn. Im Moment sind wir bewusst sprunghaft unterwegs, von Kroatien über Finnland nach Griechenland im nächsten Jahr. Um in Polen 2018 und Israel 2019 wieder völlig andere Erkenntnisse zu gewinnen und diese hier zu präsentieren.
Wie habt ihr die thematische Auswahl getroffen? Entspricht der kritische, zeitgenössische Schwerpunkt – Vergewaltigung, globale Erwärmung etc. – dem, was in der finnischen Theaterlandschaft momentan üblich ist oder war das eine bewusste Auswahl?
Knut Geißler: Es gibt bei »Off Europa« kein Suchen unter bestimmten Vorzeichen. Diese Themen, die auf eigenem Erleben bzw. klaren ethischen Haltungen basieren, sind natürlich ein Glücksfall für das Programm. Ansonsten ist eine solche Festivalwoche eine Art Komposition, die sich aus Stilen und Thematiken, aus kleineren und größeren Arbeiten, aus Musik, Tanz, Theater und Film weitgehend selbst zusammenbaut.
Inwiefern spiegeln die Stücke das heutige Finnland wider, sind typisch für das Land oder brechen mit ihm?
Knut Geißler: Künstler sind zumeist scheue Wesen, Individualisten, die auf neue, ureigene Kreationen hinarbeiten. Insofern ist es doch nicht ein Land, sondern ein konkreter Künstler, eine Personengruppe, Konzepte und Ideen, die sich hier präsentieren werden. Deutlicher ist das mit den Ausgangspunkten künstlerischer Beschäftigung, den Details der Lebensumstände, den Arbeitsweisen – und da gibt es naturgemäß Unterschiede zwischen Finnland und Südosteuropa.
Welche Trends sind aktuell im finnischen Theater festzustellen?
Knut Geißler: Ich beschäftige mich wenig mit Trends, Moden, einem Hype. Etwas Bestimmtes dieser Art habe ich in Finnland nicht ausmachen können. Spuren finnischer Mentalität, geprägt von Lakonie, Selbstironie, Naturverbundenheit und Bodenständigkeit, lassen sich in vielen Arbeiten finden. Und es wird viel experimentiert in der Erforschung menschlicher Bewegung.
Warum ist es wichtig, finnischer Kultur in Deutschland eine Bühne zu bereiten?
Knut Geißler: Es sind ja keine einheitlichen Entwicklungen in Theater und Tanz, die sich in Europa beobachten lassen. Ich denke, es ist essentiell wichtig, neugierig zu sein, sich Einflüssen, Gedanken, Erkenntnissen von außen gegenüber offenzuhalten. Ob als einheimischer Künstler oder auch als Zuschauer.
Was ist dein persönliches Highlight des Festivals?
Knut Geißler: Mir sind alle Teile der »Komposition« gleichermaßen wichtig. »The Earth Song« und »Play Rape« sind charismatische Produktionen, es ist aber auch hochinteressant bei kleineren, stilleren Arbeiten wie »Writing Dancing« genau hinzusehen. Pasi Mäkelä & Sabotanik Garden sind ebenso schräg wie das Vertanzen verschiedener Nationalhymnen am letzten Festivaltag ungewöhnlich. Und es freut mich besonders, dass es in der Kinobar Prager Frühling und Cinémathèue sorgsam ausgewählte finnische Spielfilme und Dokumentationen geben wird.
Fragen: Jana Nowak