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Kroatien. Eine Hinwendung

Der Pressesprecher unseres Leipziger Partners „LOFFT – Das Theater“ Sebastian Göschel hat sich aus Anlass von #nextstophrvatska und für das Vorwort des aktuellen LOFFT-Programmheftes etwas länger mit Kroatien beschäftigt.

 

Montažstroj-Projekt „Polet Mladosti“ (Aufstand der Jugend) © Barbara Šarić

 

„HRVATSKA! … Gesundheit! Ach Kroatien – ja natürlich! Da war ich schon mal an der Adria, fast so schön wie Italien und im Norden hat‘s viel von Österreich. Wie bitte? Und dann war da noch 1998. Das bittere 0:3 bei der WM in Frankreich mit dem gnadenlos guten Davor Suker, als die rot-weißen Karos einen tiefen Abdruck im Fußballgedächtnis hinterließen. Ich merke mir immer so sinnlos sinnlose Sachen, wie zum Beispiel die Etymologie von Krawatte (französisch „à la cravate“ = „nach kroatischer Art“). Diese trugen kroatische Reiterregimenter als Zeichen der Liebe ihrer Frauen, zum Beispiel bei der Völkerschlacht. Die Ur-Krawatte machte ihren Weg nach Leipzig noch vor Ur-Krostitzer und die kroatischen Söldner waren zumindest die bestangezogenen im Blutbad an der Pleiße. Aber am Ende ist das ja eh alles Balkan. Tito, Ćevapi und Slivowitz.
Nun kommen die Kroaten zurück nach Leipzig – in friedlichen Absichten und freundlich eingeladen von Festivalmacher Knut Geißler. Sie bringen Tanz, Theater und Film mit. Wie jedes Jahr erlaubt uns das OFF EUROPA Festival einen differenzierten, fast schon intimen Einblick in ein irgendwie fremdes Land. Der Türöffner ist Kunst. Wenn man sich das diesjährige Programm anschaut, kennt man vielleicht den einen oder anderen Namen und stellt trotzdem reflexartig die ultimativen Totschlagfragen: Was ist gerade los in Kroatien? Was bewegt die Menschen, die Gesellschaft? Was sind die kroatischen Themen? Und gibt es die überhaupt? Sind die denn in der Kunst erkennbar? (Man stelle sich nur mal für eine Sekunde vor, ein Kroate fragte uns, ob in deutschem Theater und Tanz die Themen unserer Gesellschaft abgebildet wären und welche das seien?) Also wieder genauer bei Knut Geißler nachfragen. Naturgemäß tut er sich schwer mit Vereinfachungen, er war letztes Jahr unterwegs in Kroatien, hat Land und Leute ernsthaft kennengelernt und ist dementsprechend differenziert. Filtert man seine Ausführungen, fächern sich seltsame Themenkomplexe in Kroatien auf: Nostalgie, Schuld, Krieg, kulturelle Verlustängste, Selbstvergewisserungsversuche, Tabus, Nationalismus, Kommunismus. Moment mal! Das ist ja total deutsch, nicht zu sagen ostdeutsch. Es tut sich eine unheimliche Parallelität auf, die man gern abschütteln möchte. Sind die Kroaten die Deutschen des Balkans oder beginnt der Balkan schon hinterm Harz? Was für überraschende Kongruenzen tun sich hier auf? Unerträgliche Zombie-Debatten über Ampelmännchen, Halloren-Kugeln und das Schulsystem der DDR ertragen wir. Mit Wolf Biermann halten wir aus, dass der Linke, die Linken zu Radikalen macht. So viele alte Männer. Unsere Grundstücke und Immobilien gehören uns schon wieder nicht mehr. Ein Nazivorwurf kann Politiker (zumindest aus der SPD) immer noch leichter stürzen als Korruption. Schuldreflexe, vorgeworfene Großmachtsansprüche, Angst vor linken Ministerpräsidenten. Hass auf die amerikanischen Besatzer und Angst vorm Russen, der schon wieder an die Tür klopft. Und alles möglichst undifferenziert, mit Schaum vorm Mund. Es ist uns eingeschrieben, kaum noch hintergehbar und Bestandteil einer unproduktiven Debattenkultur.
Irgendwie haben wir alle mindestens schon eine Heimathäutung durch, hier die DDR, da Jugoslawien. Die Konsequenzen waren allerdings verschieden, die einen gehören nun zum anderen großen Land, die anderen sind ein eigener Nationalstaat. Vom Kleinen zum Großen vs. vom Großen zum Kleinen. Und jetzt kommt die Anspruchsmaschine EU nach Kroatien und schon wieder fügt sichs in etwas noch viel größeres, gnadenlos nach Westen drängend und gedrängt, den Balkan als blassen Schleier hinter sich her schleppend. Dort vom Rest Jugoslawiens auch schon mal als Stallknechte Wiens verhöhnt, zerreißts hier den Ossi zwischen Putin und Obama. Gut, dass wir Erich statt Josip hatten. Der hatte ’ne Datscha im Wald, der andere ’nen Gepard auf ’ner Insel.
Gut, dass bei uns die Katholiken nur in einer kleinen Ecke des Landes das Sagen haben und nicht wie dort moralinsauer über‘m ganzen Land abregnen. Aber nun gut, wir sind jetzt ein Europa und wer schon einmal einen Genozid hatte, spielt 1. Liga, sagt der Volksmund. Der Schuss sitzt locker da im Süden. Ich weiß nicht, ob Sie jetzt Lust haben, vom 18. bis 26. September zum OFF EUROPA Festival zu gehen. Ich werde da sein und wie jedes Jahr auf unglaublich kluge, ambivalente und riskante Art in ein Land, eine Kunst eintauchen dürfen. Also binden Sie sich eine Krawatte um, packen Sie Ihren Dalmatiner ein, lassen Sie Ihren Marco-Polo-Reiseführer zuhause und kommen Sie zum OFF EUROPA FESTIVAL! Denn nichts ist so anregend wie Unterschiede! Ihr Sebastian Göschel.“

Danke an unsere Partner

Kontakt

Büro für Off-Theater / Festival Off Europa
Künstlerischer Leiter: Knut Geißler

c/o
Theatervereinigung FRONT e.V. – Büro für Off-Theater
Andersenweg 2
D – 04277 Leipzig
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