„Zwischen Griechenland und Israel liegt Ungarn. Zumindest was die Abfolge im traditionell auf einen Länderfokus ausgerichteten Off-Europa-Festival angeht, das in diesem Jahr mit „Open Hungary“ überschrieben ist und vom 21. bis 26 Mai stattfindet. Und dabei einmal mehr jeden wirklich Interessierten, der noch wirkliche Lust auf Theaterentdeckungen hat, in die jeweiligen Spielstätten locken sollte.“
Vorbericht in der Leipziger Volkszeitung vom 18. Mai von Steffen Georgi
Dass zu diesen Spielstätten nun nicht wie erhofft das neue LOFFT-Domizil auf der Baumwollspinnerei gehört, wo das Festival eigentlich eröffnet werden sollte, mag ein Wermutstropfen sein: „Das war eine schöne Idee, das hätte mir und dem LOFFT gut gefallen“ sagt dazu Knut Geißler, Kurator und künstlerischer Leiter des Off-Europa-Festivals. Aber die Spielstätte ist, wider allen Ankündigungen, eben noch Baustelle- und Geißler nicht wirklich überzeugt davon, dass das im nächsten Jahr (Länderfokus: Israel) wesentlich anders sein wird: „Ich sehe das LOFFT da noch nicht unbedingt an neuen Ort“ konstatiert Geißler lakonisch.
Dass nun der ohnehin eher peinliche Slogan vom Leipzig als dem „besseren Berlin“ vorrangig (und peinlicherweise) auf einschlägige Zeitverzögerungen bei städtischen Bauvorhaben zutrifft, soll hier und jetzt freilich kein Thema sein. Zumal für die zum Festival gezeigten Produktionen, die einen größeren, aufwendigeren Bühnenraum beanspruchen, Geißler einmal mehr das „Theater der jungen Welt“ gewinnen konnte: „Eine erfreulich gute Zusammenarbeit“ so Geißler.
Im TdjW wird am 26. Mai das preisgekrönte Tanzstück „Grace“ zu erleben sein. Eine kraftvolle Inszenierung der Zerklüftungen zwischen Selbstzerstörung und Wiedergeburt; einer Neu- und Demontage auch des tänzerischen Ausdrucks und seiner Strukturen. Choreographin Adrienn Hód installiert in ihrem Stück den Zustand der Barmherzigkeit als Kreislauf zwischen Erhöhung und Absturz. Ein echtes Muss dieses Festivaldurchlaufs.
Allein schon wegen der thematischen Setzung spannend ist „Waiting for Schrödinger“; im Lofft (alter Standort natürlich) am 25. Mai zu sehen. Das so berühmte, wie irritierende Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger („Schrödingers Katze“) offenbart sich hier als choreografisch- gruppendynamische Teilchenentfesselung zwischen Clownerie, Anarchie, Physik und Spaghetti-Western. Letzteres erklärtermaßen ebenfalls ein Bezugspunkt den Choreograf László Fülöp für seine Inszenierung ins Feld führt.
Nur zwei Beispiele aus einem Programm, das neben Theater, Tanz und Performance auch wieder mit einer Kinoschau und natürlich Diskussionsrunden aufwartet. In eine solche kann man sich gleich am Dienstag stürzen. Mit „Von Gewöhnung und Widerstand“ ist die überschrieben und findet im Anschluss einer Inszenierung statt, die den Titel „Ungarische Akazie“ trägt und sich damit auf ein Nationalsymbol des Landes bezieht.
Dass nun die Akazie generell zur Unterfamilie(!) der Mimosen(!)-Gewächse gehört und deren ungarische Variante eigentlich aus Nordamerika stammt, mag den Denkgestus der Inszenierung erahnen lassen: „Listig, witzig, poetisch und politisch pointiert“ nannte die eine Kritikerin. Schöne Steilvorlage für die anschließende Diskussionsrunde.
Auch angesichts jener Bestrebungen nach Deutungshoheiten, die ja wahrlich nicht nur in Ungarn grassieren. Geißler: „Die Vorstellungen einer bestimmten politischen Klientel, wie die Kunst oder die Nation und in Folge eine sogenannte nationale Kunst zu sein hat und wie nicht, ist nichts, was die Künstler interessiert. Und mich auch nicht.“
Natürlich formuliert sich darin auch ein Credo des Festivals: die Selbstbehauptung des individuellen Ausdrucks gegen jedwede Indoktrination. Und sei es die des Zeitgeistes. Es ist das Suchen nach einer künstlerischen Autonomie die ja auch eine Autonomie des Künstlers, des Individuums ist, die „Off Europa“ seit jeher auszeichnet. Bei „Open Hungary“ wird das nicht anders sein.